Skip to content

Latest commit

 

History

History
475 lines (313 loc) · 42.5 KB

teil01.md

File metadata and controls

475 lines (313 loc) · 42.5 KB

Anmerkung des Protokollanten: In Ungarn haben viele Orte wie so oft in Osteuropa oder auch an der deutsch-französischen Sprachgrenze mehrere Namensformen. Ortsnamen sind so wiedergegeben, wie Käthe sie benutzt (zu benutzen scheint), dass heißt, Deutsch, wenn sie die deutsche Variante sagt, und Ungarisch, wenn sie die ungarische Variante nutzt. Der ungarische Name ist im Fließtext ohne Akzente und Ähnliches wiedergegeben; die Fußnote der ersten Erwähnung gibt die richtige, amtliche, ungarische Schreibweise wieder sowie die gebräuchliche(n) deutsche(n) Schreibweise(n). Man beachte Bonyhad: Sie nutzt fast immer die ungarische Form, jedoch scheint sie an ein oder zwei Stellen in das deutsche Bonnhard zu verfallen. Des Weiteren wurde versucht, das Protokoll soweit wie möglich umgangssprachlich wortgetreu zu halten, was weder durchgehend gelang noch immer möglich war. Insbesondere die Verneinung „nicht“ wurde immer als „nicht“ wiedergegeben und Worte, die in der Umgangssprache typischerweise verschliffen werden, wie zum Beispiel „es“, wurden allermeistens voll wiedergegeben. Teilweise wurden auch aus anderen Gründen Stellen mehr paraphrasiert denn protokolliert, insbesondere war subjektiv an manchen Stellen Geschwindigkeit wichtiger als Präzision. Auch ist der Erzählstil bisweilen etwas erratisch – auch aus diesem Grund ist der Text sehr ungeschliffen. Texte in eckigen Klammern sind Präzisierungen oder auch Paraphrasen von Gesagtem.

Es sitzen im Raum, vermutlich bei Klauschens in Mainz, um einen Tisch mit Fotos Käthe Klausch, Schwester von Hans Hufnagel und Heinrich „Heini“ Hufnagel, ihr Mann Friedrich, ihre Nichte, und Tochter von Hans Hufnagel, Ruth Gleichmann, sowie deren Tochter Susanne.

Teil 1 Anekdoten (54:55 Minuten) {#anekdoten}

0:00

Ruth : Ich wusste nicht, wann die alle geboren sind.

Käthe : Das kann man ja noch machen. Also ihre Eltern, und der älteste Bruder, das ist ja von der „Grill“-Käthe, in Mornshausen, nicht in Mornshausen, wie heißt denn das

Ruth : Kombach

Käthe : – in Kombach gestorben ist, also Hoffmann, ist ihr Vater. Paar Tage, nachdem der jüngste geboren war, ist er nach Kanada, und das war der Oma ihr großes Vorbild – sie wollte nie heiraten, sie wollte auch nach Kanada

Ruth : Also er von fünf Kinder abgehauen

Käthe : Ja nein, er ist nach Kanada, und hat gespart, und wollte seine Familie nachholen, und sie war die einzigste [sic] Tochter und die Eltern haben sie nicht gehen lassen. Und wie sie das Geld zusammen hatte, musste sie in Etjasaschar bleiben.

Ruth : Also die Oma hat immer erzählt, das war so das, was sie im Kopf hatte: „Er ist abgehauen von fünf Kindern und hat eine Frau mit fünf Kindern sitzen gelassen“.

Käthe : Also so hat man's mir erzählt – das weiß ich nicht

Ruth : Das ist die Uroma, Susanne[?]

Käthe : Das ist meine Mutter, die Oma/Uroma

Ruth : Und die ist '97 [1897] geboren?

Käthe : Ja, und sie wollte nach Kanada, zu ihrem Bruder, und wollte nicht heiraten. Und er hat – jeder Freier der kam – junger Bursche – hat sie nein gesagt. Und da hat er eines Tages gesagt: „So, und wer jetzt kommt, den musst du heiraten“. Und dann ist mein Vater gekommen. Wo sie sich begegnet sind, ich weiß es net, und dann hat er gesagt „und den musst du heiraten“. Und der stammte aus Hidasch^[Hidas, deutsch Hidasch, 2000-Einwohner-Nachbardorf von Bonyhad, https://de.wikipedia.org/wiki/Hidas]. Nachbargemeinde, früher war das ja nicht so wie heute, das man genau wusste – das war ein reicher Bauernsohn, das war sehr wichtig. Der hatte ja hier drei Söhne, und mein Vater war der jüngste. Der älteste Sohn [unverständlich] ist Großvater, ich nehme an, dass das seine Frau ist [vermutlich auf ein Foto zeigend]. Ich hab sie nie kennengelernt. Und das ist der älteste Sohn mit seiner Frau, auch ein Hufnagel, der mit den […]-städtern mit seiner Frau. Das nächste ist der, der Bräutigam mit der Braut –

Ruth : Ist das der Opa?

Käthe : Ja. Das ist der Heinrich, das ist der Hans, und das hier – ist der Opa

Ruth : Ach was

Käthe : Ja, der elegante ist der Opa

Ruth : Der sieht ja wiederum Susannes Opa, also meinem Vater ähnlich, hätte ich nicht gedacht

Susanne : Das ist dein Opa – mit den Opabezeichnungen komme ich durcheinander

Ruth : Das ist mein Opa Melchior. Das Bild hab' ich noch nie gesehen

Käthe : Und zwar habe ich das von ihrer Schwiegertochter. Die hatten wir in Hevis^[Hévíz, deutsch Hevis, Kurort am Balaton-Plattensee mit Thermalsee https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%A9v%C3%ADz] getroffen, da waren wir zur Kur gewesen, und vorher hatten wir telefoniert, und da hat sie gesagt: „Ich bring euch was mit“ und da haben die [unverständlich] die alten Bilder mitgebracht und wir haben die Bilder kopiert. Und so bin ich an dieses Bild gekommen. Und so habe ich meinen Opa praktisch das erste Mal gesehen. Die Daten habe ich hier aufgeschrieben. Da ist er nochmal. Und das ist sie.

Ruth : Deine Großeltern

Käthe : Meine Großeltern. … Und zwar beide sind Bauern geworden. Und er war Bürgermeister in Hidasch geworden, und ein ganz großes Gut, aber es hat ihm nicht gereicht. Und er hat – so wie ein Rittergut – „Busta“ hat man bei uns dazu gesagt – hat er gekauft. In [...] heißt das Busta, und das ist in der Nähe von Fünfkirchen, Pecs^[Pécs, sprich „Petsch“, deutsch Fünfkirchen, https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A9cs: Regionalzentrum mit 150 000 Einwohner, wechselhafter Geschichte der Türkenkriege], in der Nähe. Und dieser ehemalige Besitzer, der war total verschuldet, und da war kein Grundbucheintrageinsicht, und er hat die ganzen Schulden mitgekauft, und dadurch ist er bankrott gegangen, dann war garnix da. Und weil mein Vater ja immer von Geburt […] hat man ihn nach […] (das ist in der Nähe von […]) die Kreisstadt geschickt. Da ist er in die […], die Bürgerschule gegangen, und hat ungarisch gelernt. Mein Vater, das war kein Dummer gewesen – weil er die schwere Arbeit nicht leisten konnte. Und seine Mutter, die war ja lungenkrank gewesen, und die ist hier – hab ich ja auch aufgeschrieben – „Großvater Heinrich, geboren 1862, gestorben am 17.12.19[…] in […], ist 62 Jahre alt geworden. Seine Frau, habe ich nicht gekannt, Hufnagel Grete, geborene Elfenbein, habe ich auch nur 1868 in Gischmaniuk geboren, und gestorben am 29.4.1919 in Hidasch.

Ruth : Sieht aber so ein bisschen slawisch aus

Käthe : Sind ja Deutsche

Ruth : Slawisches Gesicht. Und die Oma war ein hübsches Mädchen

Susanne : Also da ist meine Uroma

Ruth : Ja

Käthe : Also das sind jetzt die Hoffmänner, Melchior seine Mutter und sein Vater.

Ruth : Der Opa ist geboren [wann]?

Käthe : Der ist geboren 1892, am 16. Juli. Der hätte jetzt am 16. Juli Geburtstag.

Ruth : Weißt du noch das Sterbedatum vom Opa?

Käthe : Ich hab es aufgeschrieben. Ich hab es sogar draußen in meinem Kalender

Susanne : Also es waren alles Deutsche, die in Ungarn gelebt haben? Die Hufnägel?

Käthe : Alles, alles. Und die Hoffmänner auch. Und zwar bin ich bei den Hoffmännern sehr, sehr weit zurückgekommen und einen Hoffmann selbst habe nicht … [unklar] aber ein Nebenzweig, die Frau, die einen Hoffmann geheiratet hat, die ist hier aus Idstadt gekommen.

Friedrich : 19. 2. 1960 ist er gestorben

Ruth : Ist er noch 68 geworden, der Opa

Käthe : Die ist aus Idstadt, Da waren wir dort gewesen, und haben den Auszug [vermutlich Kirchenbuchauszug] gesehen. Und wie sie ausgewandert ist – 1720, im Siebzehnten [Achtzehnten] Jahrhundert damals. Und bei den Hufnägeln bin ich leider Gottes nicht so weit zurückgekommen wie bei den Hoffmännern, weil ich hätte gern gewusst: „Wo sind die Urwurzeln, von wo sind sie hier ab“. Aber sind beide immer deutsch geblieben, da war nie was Fremdes dazwischen. Also wenn du meinst –

Ruth : – Auch kein ungarisches Blut

Käthe : Gar nicht

[unverständlich]

Käthe : Und das war deine Stieftante, das war ihre Hochzeit, und das ist ihr Mann, der Wirt. Das ist die Eva, von der Eva Schüssler die Mutter,

Käthe : Und dann kam die Lissi-Tante, die in […] [Mehrholz] gewohnt hat, das war die Lissi, und das ist der Heini [Bruder von Hans Hufnagel], der in Wien zum Schluss war. Sie war die jüngste. Und sie ist ja auch schon früh verstorben.

Ruth : Meine Uroma ist auch schon früh gestorben.

≈ 9 Minuten

Käthe : Ja, die habe ich auch nie gekannt, ich habe nie eine Oma gehabt. Eine geborene Taubert war sie, Oma, geboren am 3.9.1867 in Bonyhad^[Bonyhád, deutsch Bonnhard, https://de.wikipedia.org/wiki/Bonyh%C3%A1d: Lokales Zentrum der Herkunftsgegend der Familie Hufnagel, heute noch Schulort und Standort der weiterhin existierenden deutschen Selbstverwaltung], gestorben am 27.6.1923 in Bonyhad. Und ich bin ja '28 geboren, habe sie [daher] nie gesehen, nie eine Oma gehabt. Eine Oma streichelt [ja], und der Opa war ein ganz ganz strenger. Hat sämtliche Enkelkinder mit seinem Krückstock verschlagen. Alle, nicht nur mich und deinen Vater und den Heini, auch die anderen Kinder auch alle. Jeder hat sich gefürchtet vor dem. Und zwar hat er – ich kenne ihn nur mit dem Krückstock hier – er ist nach Wien gefahren mit den Pferden, was sie in Wien wollten, weiß ich nicht. Als er da unterwegs von Bonyhad mit dem Pferdefuhrwerk war nach Wien, und unterwegs sind die Pferde durchgegangen, gescheut durch irgendwas und haben ihn mitgeschleift. Und dadurch hat er ein steifes Bein behalten. […] Und diesen Krückstock haben wir alle gefürchtet. Und wir sind nur zum Opa gegangen – waren alle sehr religiös, vor jedem Essen musste gebetet werden, und nach jedem Essen danke, aber gekloppt hat er uns alle, ob wir etwas verbrochen hatten oder nicht verbrochen hatten, das war egal. Auf jeden Falls sind wir nur hingegangen, wenn er Geburtstag hatte, dann mussten wir immer ihm gratulieren und ein Gedicht aufsagen, das musste man. Da sind wir nur pflichtbewusst hingegangen und haben gratuliert und dann haben wir ein Geldstück von ihm gekriegt, das war unser ganzes Geschenk im ganzen Leben, was wir vom Opa gekriegt hatten, wenn er Geburtstag hatte, dann hat er uns immer ein Geldstück gegeben. Und noch eine Geschichte dazu: Von den Hoffmännern, ob mütterlicherseits oder väterlicherseits, das weiß ich jetzt nicht mehr, hat die Oma immer erzählt – Taubert, muss von mütterlicherseits her sein – diese Oma war so geizig gewesen, ihre Oma, die war so sehr geizig gewesen, sie ist gestorben, und dann hat ihr Mann gesagt: „Jetzt darf ich mal mein Frühstücksei alleine essen“. Die war so geizig, das Frühstücksei wurde geteilt, Halbe Halbe, […] und wenn sie, Kinder, hingekommen sind, und früher haben sie doch ihre Trachtröcke gehabt, und da war so eine Tasche drin, und dann hat sie gesagt, ich kann mit meinen Ellenbogen nicht in meine Tasche reingreifen, also es [sie?] hat für die Kinder nichts abgegeben. Und wie sie gestorben war und der Opa hat das gesagt „er darf jetzt endlich mal sein Frühstücksei alleine essen“, da haben sie die Goldstücke gezählt. Geld auf dem Tisch gezählt, als Erbe, und Silberstücke waren so viele, die haben sie dann mit der Waage gewogen, um [sie] zu verteilen. Reich war sie, aber sattessen durfte sich der Opa davon nicht. Ich habe sie nicht gekannt, ich kenne es nur vom Erzählen. Das ist von der Oma. Und die Oma selbst, sie hat so schöne Kleider gehabt, und die Lissitante wollte immer nur was sie [ihr?] nicht gepasst hat, wollte sie haben. Ihre Eltern haben gesagt: „du bist ja dumm! Die Kleider was deine Schwester hat, die willst du haben“ – „Die will ich haben, ich will nix neues, die haben mir so gut gefallen“. Und nachher, wie sie Melchior geheiratet hatte, und es hat sich rausgestellt, dass er krank ist, dass er immer krank war, das wusste man ja vorher nicht, und die Hufnägel haben das ja auch nicht gesagt, die waren froh, dass sie beim jemand unter war, und dann fing natürlich für sie die Notzeit an, zu mir hat sie mal gesagt: „Weißte, ich hätt' mich so sehr im Leben gefreut, wenn dein Vater einmal heimgekommen wäre, und hätt' mir mal Geld auf den Tisch gelegt, die Frau musste für die Kinder sorgen, die musste für Essen sorgen, die musste für Geld sorgen, die musste alles machen. Also, der Opa war krank, und mein Großvater hat ein sehr großes Haus gehabt, ich habe mal gezählt, da waren zehn Einwohner drin

Ruth : Der Hufnagel-Großvater?

Käthe : Der Hoffmann-Großvater. Da waren natürlich nicht solche Riesenräume, da gab es ein Zimmer und eine Küche, das war alles. Und Bad gab es ja früher nicht, um 1800 in den Räumen, da waren im Hof [waren] Toilettenbatterien, und die mussten dann immer wieder, wenn es voll war, mussten die geleert [werden] Da war für die Herrschaften, der Opa und für seine Familie, die haben ein Extraklo gehabt, und für alle anderen Leute die dadrin gewohnt haben gab es das Sammelklo, und jeder musste halt warten, wenn [wann, bis wann] er da drauf konnte. Und was wollt' ich jetzt erzählen? Ja, mit der Oma. Die Oma, die musste natürlich – das bisschen Landwirtschaft was sie hatten, was natürlich nicht gereicht hat, und die hat dann einen Teil vom Opa, von ihrem Mann, da war eine Tante gewesen, und die hat denen was zukommen lassen, so hat die Oma auch etwas gekriegt, und konnte in [den] Altgeberg^[Altgeberg: Fast schon anekdotischer Name des Wohnorts meiner Urgroßeltern in Ungarn, gemeint ist ein etwas abseits gelegenes Wohngebiet bei, aber nicht in, Bonyhad] – das war außerhalb von Bonyhad – ist ein Weinberg, ein großer Weinberg, da sind so Presshäuser und so kleine Wohnungen dabei, mit dem Weinberg dabei, ein großer Obstgarten, und hinten anschließend war noch ein großes Feld, wo man noch alles Mögliche anbauen konnte. Da hat sie so eins erworben, und das war dann ihr Lebensunterhalt, da hat sie Obst, Gemüse, Obst hatten wir alles gehabt, von der Frühkirsche angefangen, bis alles, was es an Obst gab, hatten wir gehabt. Dann hat die Oma das genommen und auf den Wochenmarkt getragen, mit so einem großen Korb auf dem Kopf, da hat sie ein paar Pfennig bekommen, und das hat halt auch nicht gereicht. Und dann gab's einen Jude', Kohn hieß der, das war ein Eierhändler, und für den ist sie auf die Ortschaften raus, die Bauern haben ja alle viel' Hühner gehabt, es waren ja alles Naturhühner, nicht so Batterien wie heute, und aber das musste ja beigetragen werden, und da hat sie die Eier aufgekauft, und hat am Anfang so einen Korb voll Eier heimgetragen von zig Ortschaften ringsum

Ruth : Auf dem Kopf

Käthe : Auf dem Kopf heimgetragen, und dann konnte sie das nimmer, und dann wurde bei einem Bauer ausgehandelt, wo sie die hinstellen durfte, die Eier, die Sammelstelle, da hat sie die zusammengetragen und alle dahin gebracht und dann wurden sie abgeholt, aber sie musste den Weg – alles, Ortschaften, es war ja nicht so, das eine Ortschaft bei der anderen war, da waren ja zwölf oder noch mehr Kilometer dazwischen. Alles dahin laufen, abklappern, und das hat sie alles noch nebenbei gemacht und hat uns Kinder noch versorgt, muss man sich mal vorstellen

Ruth : Hat sich das denn gelohnt, mit den Eiern?

Käthe : Ja sicher. Die konnte… es waren ihre Einnahmen, ja das andere hat ja nicht gereicht.

Ruth : Was hat der Opa [Opa Melchior, es geht immer noch um Käthes Vater] gemacht, sach mal?

Käthe : Der war krank.

Ruth : Wie war er krank?

[Nicht gut verständliches Geplänkel, in etwa „hat er nur da gesessen, hat er nichts gemacht?“]

Käthe : Ja, ich hab meiner Mutter auch mal gesagt: „Wenn der Papa koche' tut –“, der „Vater“, wir haben ja Vater gesagt, „– der kocht dann viel besser wie du“. Hat sie gesagt: „Ja, der greift ja auch in die Volle[n] rein, ich muss es einteile' und sparen“. Nicht, also er hat auch schon mal gekocht, aber das er sonst – und was er immer gemacht hat, er hat immer die Schuhe geputzt von uns allen. Die Schuhe hat er auf Hochglanz gebracht, aber das er sonst etwas gemacht hätte – doch, er konnte sehr gut Obst veredeln, wenn so ein neuer Spross ist, ein Wildspross, der muss ja veredelt werden, das konnte er sehr gut. Und wenn im Weinberg die Zeit war, wenn die Reben da treiben, dann müssen die gebunden werden, da gab es früher Raffia[?], heute ist es einfacher, da gibt es so eine Schusspistole, die macht klack, klack, klack, und dann ist so ein Trieb gefestigt, und da waren ja damals nicht so Treter wie heute, sondern da war ein Stock dabei, so ein Stab, und der musste da festgebunden werden. Und da hat er geholfen. Aber sonst habe ich meinen Vater nie was sehe', dass er was gemacht hat. Er konnte auch nicht, denn er war wirklich sehr krank. Der hat eine Seite gar keine Lunge mehr gehabt, auf der anderen Seite nur noch ein Restchen. Und das sie damit –

Ruth : Hatte der zu wenig Sauerstoff?

Käthe : – Atemnot hatte, und hat gar keine Luft bekommen, das ist eine seltene… Aber das weiß man als Kind auch nicht, und trotzdem: Keines von uns Kindern ist krank geworden.

Ruth : Hatte der nur eine TB [Tuberkulose?]

Käthe : Hatte TB, […] seine Mutter ist an Tuberkulose gestorben, mit jungen Jahren, haben wir ja das Datum hier, wann sie gestorben ist. Hufnagel, Gretel, hier: 1868 geboren, 1919 ist sie aber 51 Jahre alt, ist sie schon gestorben. Sie hat – mein Vater hat – seine Mutter hat Tuberkulose gehabt. Und sein Vater wollt' wenig von ihm wissen, weil er war ja kein kräftiger, starker Mann, er war ein Kümmerling gewesen, nicht, und den kann man ja in einer starken Familie schlecht gebrauchen, ja, und sie hat halt die Hand über ihren jüngsten Sohn gehalten, das war halt ein großer Halt gewesen.

Ruth : Aber die Oma… waren die dann von der Familie aus sehr reich? Oder hatten die gut Geld? Weil du sagt, die war immer so gut angezogen und so?

Käthe : Er war Maurer

Ruth : Der Opa war Maurer

≈ 19 Minuten

Käthe : Der war Maurer. Und zu der Maurergeschichte muss ich auch noch was sagen. Und zwar hat er nicht nur für sich, in so einem großen Haus gab es ja immer genug zu tun, also fleißig war er, sondern hat auch bei anderen Aufträge gehabt, nicht immer große Häuser, sondern was auszubessern, oder Kleinigkeiten zu mauern, und da ist er, hat er mal bei einem Schuster gemauert. Und der war so arm gewesen, der Schuhmacher. Und früher war das so, dass wenn ein Handwerker kam, da wurde der durch den, für den er gearbeitet hat, der musste den an dem Tag verköstigen. Und dann war er dort gewesen, und der Schuster hat einen Lehrjungen gehabt, und dann hat er gesagt: „Gell Meister, jetzt arbeiten wir tüchtig, und wenn wir Geld haben, dann gehen wir auf den MArkt, in Bonyhad gab es einen Jahrmarkt, der war zweimal im Jahr, der war außerhalb von Bonyhad, mit Karussell, und mit Schaustellern, und weil natürlich die ganzen… sonst gab es nichts – dann kann man sich natürlich vorstellen, dass das ein Mordsanziehungspunkt war, und der ganze Kreis kam zusammen. Und da hat der Bub gesagt: „Dann gehen wir dahin, und dann kaufen wir uns ein Futzje^[Nachgucken], und das kleine Futzje, das füttern wir, bis es groß und fett ist, und dann schlachten wir es, aber gell Meister, dann essen wir Wurst ohne Brot.“ Und hat der Meister gesagt, der [den] Gürtel genommen von seiner Hose: „Was Wankerl^[] [vermutlich dialektal, verwandt mit engl. „wanker“], du willst Wurst essen ohne Brot“ und hat ihn mit dem Riemen [dem Gürtel] versohlt. Und es war kein Geld, das Futzje zu kaufen, aber hat schon die Schläge gekriegt. Da hat der Opa gesagt zu seiner Frau: „Ich ess' da nix mehr, die haben ja selbst nichts zu essen, ich komm' heim zum essen“ Der Papa hat die Geschichte erzählt, hat nichts weiter zu erzählt. Also so reich sind die gewesen. Ja, es war eine arme Zeit. Die Oma hat mir auch erzählt, dass ihre Großmutter, eine, ob es jetzt die geizige war oder die andere weiß ich nicht, die sind rausgefahren, des muss… die sind ja 1720 hingekommen, also so 1790 oder vielleicht 1800 Anfang war es rum – rausgefahren und haben im Winter hat es [das] Brennholz nicht gereicht, und da mussten sie Brennholz draußen holen, und dann hat der Großvater, also ihr Großvater schon ein Fohlen gehabt, hat er hinne angebunden, und ist rausgefahren, weil es die Wölfe gab, war ja alles voller Wölfe, und da sind sie rausgefahren und haben das Holz aufgeladen, es ging alles gut, aber dann auf der Heimfahrt kam ein Wolfsrudel angebraust, und da hat er auf die Pferde heim hat es nicht gepackt und dann haben sie das Fohlen, das sie vorher extra mitgenommen, das haben sie geopfert, sonst wären sie überfallen worden von dem Rudel, so sind sie heimgekommen. Und die Oma selber hat erzählt, dass ihr[e] Großmutter – eines Tages hat sie die Fenster offen gehabt, und ht rausgeguckt, und da steht draußen der Wolf, die Pfoten aufs […] und guckt rein. Die Wölfe tun heute ja nix mehr, die haben ja damals nur die Menschen gefressen, aber heute nicht

Ruth (lachend) : Heute nicht mehr, gell?

Käthe : Ja nein, die dürfen ja heute wieder kommen als Ansiedler. Ich sage, es geht mir gut, ich tu dir nix. Und dann ist bei uns der Kalvarienberg [sie spricht „Kalfarien“]^[„Kalvarienberg, auch Stationsberg, ist die Bezeichnung für umfangreiche Nachbildungen der Passion Christi, die als Andachts- und Wallfahrtstätten dienen.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Kalvarienberg], das ist die Straße, wenn man nach Sechsard^[Szekszárd, deutsch Sechshard oder Sechsard, https://de.wikipedia.org/wiki/Szeksz%C3%A1rd] fährt – Sechshard, das hat' ich vorher schon, unsere Kreisstadt, da ist der ist ein Kalvarienberg, das ist ein Kreuz, ein hoher Sockel, und da ist ein Kreuz oben drauf, und da ist der Schornsteinfeger von Bonyhad, ist gegangen, im Winter, war auch die Winterzeit, um im Nachbarort Schornsteine zu fegen, oder irgendwas, auf jeden Fall kamen die Wölfe an und er wusste nicht mehr, wie's [wie man] auf den Sockel da drauf, und hat sich da auch mit seinem Zeug da festgeschnallt, denn es war ja Winter und klirrende Kälte, war ja mehr kalt wie noch heute, und am nächsten Tage sind die Leute da vorbeigekommen, und die Wölfe haben unten gehockt und sind nicht weggegangen und der Mann ist oben erfroren. Am nächsten Tag sind die Leute gekommen… Wir mussten in der Schule mal jeder von seiner Gemeinde was schreiben, und da habe ich diese Geschichte auch reingeschrieben, und zwar habe ich die auch so Sachen… bei uns gab es die Spinnstuben in der Winterzeit

Ruth : Die gab es noch bei euch?

Käthe : Die gab's, und das ist schön. Da gab es ein Spinnrad – die Oma hatte ja eines mitgebracht, das hat glaube ich dein Bruder Hans genommen

Ruth : Ich weiß es nicht

Käthe : Der hatte Interesse gehabt dadran, der Hans – ist ja egal, wo es geblieben ist, jedenfalls da hat sie Wolle gesponne, oder Hanf gesponnen, und dann ist man mit den Nachbarn zusammen gekommen, da wusste man: wir treffen uns jetzt mit dem Nachbarn, die kommen zu uns, und dann wurde vorher gebacken, für den Abend, und dann hat man da zusammengesessen, da wurden Geschichten erzählt, und wir Kinder, wir Mädchen, oder Nachbarmädchen, die ja auch in Russland [Ungarn] geblieben ist, die Weber-Lissy^[nachfragen]. Wir haben gespielt, oder … wurde viel gestickt bei uns, viel Handarbeit gemacht. Und dann wurden immer so Geschichten erzählt. Da hat man natürlich immer gehorcht, nicht. Und da sind auch so Geschichten mit den Wölfen und so Sachen zum Vorschein gekommen, es war sehr schön. Und da gab's heißen Tee zu trinken, und die Erwachsenen haben einen Punsch getrunken, einen Glühwein, nicht, aber wir haben einen Teet gekriegt und waren seelig und vergnügt, da hat keiner ans Schlafegehe gedacht, es waren schöne Sachen, und die gab's in der Winterzeit, ja.

Ruth : Und wann hat die Oma jetzt geheiratet? [ihre Oma, Katharina Hufnagel?] Wann haben die sich kennengelernt? Die Oma war ja noch jung?

Käthe : Die Oma war 23.

Ruth : Ach doch schon 23.

Käthe : Weil sie ist ja 1897 geboren, und 1920 hat sie geheiratet. 20. Mai 1920 hat sie geheiratet. Die Oma war arm dran, ein Leben lang, und sehr bescheiden. Und dadurch, dass sie so zurückstecken musste – man muss sich vorstellen, vorher ging es ihr gut, und dann, in der Ehe, ging alles rückwärts, und überall war Not und Elend, und drei Kinder waren da, und da war das nicht einfach für sie, und dein Mann hat mal gesagt –

Ruth : Mit 23 hat sie geheiratet, im Mai.

Käthe : Sie war 23 Jahre alt.

Ruth : Ja, dann sind ihre Kinder bald gekommen

Käthe : Ja, natürlich, der Heini sofort, obwohl sie ein altes Mädchen war. Die haben ja früher, guck mal, die haben ja früher – ihre Schwester, die war in dem Alter schon längst Witwe von drei Kindern. Die haben alle… die sind aus der Schule gekommen und sind sofort

Ruth : Die Wirthstante? Die war so früh Witwe?

Käthe : Ja ja, das ist ihr Mann, der war im 14/18-Krieg [Sie meint den Ersten Weltkrieg] und ist 1919 schon verstorben, und da hat sie schon drei Kinder gehabt. Die Kathi, die auch schon so schnell verstorben ist – wie die Russe' kamen, gab's kein Arzt, keine Medikamente, war krank, eine Grippe gehabt, ist umgefallen und war tot – das war auch ein Schock. Und ihr Sohn, der Hans, der ist im zweiten Krieg [Zweiten Weltkrieg], der war bei der [unverständlich], bei der [dem] ungarischen Militär – dein Vater und der Heini, die hätten ja auch zum Militär gemüsst, da sind sie lieber zu den Deutschen gegangen als zu den Ungarn, zur UNRI^[nachfragen], und der ist nach Russland gekommen und man hat nie was dem gehört, bis heute nicht. Vermisst. Ob er umgekommen ist oder in Gefangenschaft gekommen ist, man weiß das alles nicht

Ruth : Kannst du nochmal was vom Papa erzählen, wie der aufgewachsen ist? Was er alles so an Ausbildung gemacht hat? Oder als er bei seinem Großvater war?

Käthe : Ich kann gar nicht mal allzu viel erzählen. Guck mal, wir sind fast sieben Jahre Unterschied, und damals war das ja so, der ist bis zum zwölften Lebensjahr – ist man zur Schule gegangen, bis zur Sechsten, und dann war Schluss, und dann gab es die Wiederholungsschule, gab's dann, wo man zweimal zur Woche nur zur Schule gegangen ist, eine Wiederholungsschule hieß das damals.

Ruth : Das war eine deutsche Schule? Oder ungarisch?

Käthe : Ungarisch. Und sein Lehrer, der hat damals gesagt, meine Kinder, die Deutschen, die aus meiner Klasse rauskommen, die werden keine deutsche Zeitung lesen können. Das war dem sein Vorsatz –

Ruth : Der wollte, dass die nur Ungarisch können.

Käthe : Genau, und dann kannst du dir vorstellen, wenn da die Schrift und das Lesen nicht so war, das war nur das bisschen, was er von daheim von den Eltern mitbekommen haben, das andere von der Schule war bewusst die sollten keine deutsche Zeitung lesen, so war das gewesen. Und dein Vater, der war ein Luftikus gewesen. Hans in allen Gassen, der hat alle Streiche gemacht, hat die Oma erzählt, der wollte nicht zur Schule gehen, und dann ist er auf die Bäume geklettert, und hat von oben Gesichter gemacht, und […] und sie stand unten mit einem Besen und hat gedroht, und er hat sie ausgelacht, aber auf jeden Fall, er ist zur Schule gegangen, und er war sehr geschickt, er hat – ich weiß nicht, ich habe es leider Gottes nicht, habe ich schon ein paar Mal dran gedacht, er hat in der Schule, das war so buntes Papier, so wie es heute auch so Bastelpapier gibt, und da so verschiedene Muster haben die dareingemacht, und da hat er so mehrere Packen gemacht, also er hat das sehr gut gemacht, und das hatten wir daheim, das war was Kostbares, aufgehoben, bis wir weg mussten [gemeint ist die Vertreibung], solang haben wir das gehabt. Und dann, was er auch mir immer gemacht hat, Ostern gab es immer ein Nestchen draußen, im Hof, wir hatten ja viel Platz gehabt, und da sind wir Weidenruten gegangen, unten am Bach, Weidenruten holen, Stäbchen, und da so Stöckchen reingemacht, ich konnte es ja noch nicht so, aber er hat mir da immer geholfen, und hat so Stöckchen rein, das geflochten, und dann sind wir losgegangen, und haben Moos gesucht

29:40

Ruth : Das hat der für uns auch noch gemacht. Als ich klein war kann ich mich erinnern. Das kannte ich so sonst gar nicht mehr, und hat richtig was festgeflochten

Käthe : Ja, immer Moos, lang vor Ostern musste das ja immer schon gemacht werden, da war das schon wieder vertrocknet, dann ist er wieder gegangen, wieder neues… der Organisator war dein Vater. Und damit da, wenn Regen ist, da nichts rein kommt, der hat der sogar einen Verschluss obendrüber gemacht, so einen Deckel obendrauf, aber nicht so glatt, sondern so eine Wölbung, dass, wenn der Osterhase da was reinlegt… [nichts kaputt geht] der wusste ja genauestens über den Osterhasen bescheid … Bis ich mal mittags schlafen gegangen, bin rausgekommen, ein bisschen früher als sonst, dann waren sie am Eierfärben gewesen, und da wusste ich, wer der Osterhase war. Aber dein Vater, wie der noch so klein war, da hat der auch noch an den Osterhasen geglaubt. Und da haben wir ja schon draußen am Altgeberg gewohnt, und geht morgens raus, um nach dem Osterhasen, nach dem Nestchen, ob der Osterhase schon da war, zu gucken, kommt da gerade ein Feldhase vorbei. Und der Hansen: „Ei Häschen, bleibt doch stehen, ich bin doch da“. Das war dein Vater gewesen. [Als er mit der Schule fertig war]

Ruth : Weißt du, wie alt er da war?

Käthe : [Er dürfte nicht älter als 13,14 gewesen sein], da ist er zum Bauern gekommen, und auf dem Bauern ging's ihm sehr, sehr schlecht, aber das wusste man auch nicht. Und zwar haben die auch die Kinder genommen, von minderbemittelten, wollen wir mal so sagen, und haben die Kinder richtig ausgenutzt. Der musste schon früh aufstehen, und musste den Stall ausmisten, und das Vieh versorgen, und hat wenig zu essen gekriegt, und musste in so einer, dürftigen, alten Kammer schlafen, bis die Oma ihn damals… ihn da aufgesucht hat, und mitbekommen hat, dass es dem Bub wirklich so schlecht ging […] und da hat sie ihn sofort mit nach Hause genommen, und dann, hat die einen Bäcker gehabt – bei uns in Bonyhad hat es drei Bäckereien gehabt, und – da ging es ihm auch nicht gut, überkleg dir mal: Die jungen Burschen, die Lehrlinge, die mussten abends um elf Uhr anfangen, Brot zu backen, der Ofen wurde sauber gemacht, und angeheizt, und bis das alles fertig war in der Zwischenzeit den Teig machen, und die Brötchen machen, Kipfel [?] haben wir gesagt zu den Hörnchen, die waren ganz wunderbar. Und das alles mussten die Abends um 11 Uhr, wenn die andere Jugend noch Benedeni[?] und zusammen ist, da musste er schon in der Backstube stehen, die ganze Nacht. Und morgens, wenn sie dann fertig waren, und dann musste er noch – da gab es ja noch die Herrschaften, die die Brötchen im Sack daheim hinbekomen haben – musste die Brötchen ausfahren. Dann durfte er erst heimgehen, schlafen. Überleg' dir mal, das war keine schöne Zeit.

[…]

Käthe : Und das als junger Mensch.

Friedrich (ironisch) : Die gute alte Zeit

Käthe : Die gute alte Zeit, ja.

Ruth : Gut sag mal, war eigentlich auch mal beim Opa, bei dem Hoffmannopa, eine Zeit lang untergebracht?

Käthe : Ja, da waren wir alle mal gewesen. […] Mein Vater, und sein Schwiegervater, die haben sich ja nattürlich nicht verstanden, weil der [Balthasar Hufnagel] nichts gebracht hat, keine Leistung gebracht hat. Da wollte er… Seine Tochter hatte er vorher zu der Ehe gezwungen, „du musst den heiraten“, und nachher, wie er krank war, wie er mitbekommen hat, dass er krank ist, hat gesagt, „jetzt wird sich geschieden“. Und da hat Mutter gesagt: „Ich habe vor Herrgott geschworen, ‚in guten wie in schlechten Zeiten‘, ich hab' den Schwur geleistet, ich bleibe dabei, ich muss das tragen, das ist mir auferlegt. Nicht, und so hat sie das auf sich genommen, aber das war halt getrübt, zwischen Schwiegersohn und Schwiegervater. Und da waren wir eine Zeit lang. Die Lissitante war verheiratet, nach Meginitsch, geheiratet hat die in Hollenbach, und da war der Opa alleine. Und natürlich, war sowieso sein Liebling gewesen, und dann hat er sie reingeholt, und dann waraen wir dort gewesen. Und der Hansen und der Heini, die mussten dann auch bei ihm alle Arbeiten verrichten.

Ruth : Das hat der Papa auch manchmal erzählt, dass ihn der Opa auch geschlagen hat(?)

Käthe : Ja

Ruth : Und dass er, morgens früh in den Stall musste, und dann in den stinkenden Stallklamotten in die Schule, und in der Schule haben sie ihn ausgelacht, weil er so gestunken hat. Und keiner hat ihm gesagt, er müsste sich waschen oder so. Der ist aus dem Kuhstall in die Schule gegangen. Oder Schweinestall, ich weiß nicht was die hatten.

Käthe : Der hat Kühe gehabt, und Schweine, ja.

Ruth : Und wie lange waren die da, bei dem Opa? Oder wie lange wart ihr da, als Familie?

Käthe : Weiß ich nicht. Nicht allzu lange, wir waren eine Zeit dort. [Weil es ja nicht lange gut ging mit den Kindern] – ich habe ja auch meine Dresche von ihm gekriegt. Die Hoffmänner [auch], der war nicht einfach. Und dann war auch – wie er beim Bäcker weggekommen ist, weiß ich nicht – eine Zeit lang in einer Keksfabrik gearbeitet.

Ruth : Das habe ich noch nicht gehört.

Käthe : In einer Keksfabrik. Und da hat er diese Bruchkekse mit nach hause nehmen können. Sowas gutes habe ich mein Leben nicht mehr gegessen. Weißt du, dass war ja was ganz besonderes, frisch gebacken, die Kekse. So richtig so wie die Balsenkekse, so die Form war das gewesen. Da gab es so eine Fabrik in Bonnhard, da war er gewesen, bis er dann zum Militär gekommen ist.

Ruth : Hat er nicht auch noch etwas mit Maurer gemacht? Hat er nicht noch eine Maurerlehre gemacht?

Käthe : Dasd war der Heini.

[Sinngemäß ob sie sich sicher sei]

Käthe : Kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch eines, die Oma hat auch mal zwischenzeitlich mit Zucker gehandelt, so Bonbons. Und da hat sie auch so mit Großware sich kommen lassen und die dann verkauft und da hat sie dieses Sortiment in der guten Stubb' – gab ja eine gute Stub' – ein Paradezimmer war das gewesen

Ruth : Wohnzimmer, wo keiner rein durfte. Das hatten wir auch noch.

Käthe : Da hatten wir drei Kleiderschränke gehabt. Drei große Kleiderschränke und nur eine Kommode noch. Und auf den Kleiderschränken obendrauf hat dann die Oma die Schachteln mit den Bonbons gehabt. Und dann ist die mal heimgekommen […] – war ich wahrscheinlich ganz klein – auf jeden Fall haben die Buben obengesessen, haben die Bonbons runtergeholt. Der Hans – dumm war er nicht – hat einen Schirm genommen, aufgespannt und damit heruntergezogen. Mit dem Stuhl ist er gar nicht rangekommen, aber mit dem Schirm, und dann haben die unten gesessen, und haben Bonbons gehabt. […] Also das war vielleicht nach der Eiersache […], also wie da die Zusammenhänge sind, so chronologisch, kann ich nicht genau sagen, das sind ja nur Bruchstücke.

Ruth : War vielleicht auch frühkindliche Prägung. Der Papa hat noch als alter Mann unheimlich gerne Bonbons gegessen, und wenn ich kam, dann kriegte ich Bonbons in die Hand gedrückt, ob ich nun 50 war oder 55, aber ich kriegte meine Bonbons.

Käthe : Siehst du mal, es war ja auch was besonderes.

Friedrich : Ist genauso. Da sind die Bonbons draußen.

Käthe : Und dann der Krieg, da ist er nur ein einziges Mal heimgekommen im Urlaub.

Ruth : Er hat sich freiwillig gemeldet, bei den Deutschen.

Käthe : Er musste ja sowieso gehen.

Ruth : Er hätte zu den Deutschen gemusst?

Käthe : Zu den ungarischen1. Und da sind sie beide – der Heini hat sich zuerst gemeldet – und da hat er ihn mitgezogen. Der Hans wollte eigentlich noch nicht gehen. Aber weil sein Bruder – die beiden waren ja unzertrennlich, waren ja immer zusammen. Und der Heini, der hat ja als Kind nicht gestottert, sondern er in einem gewissen Alter – ich ging noch nicht zur Schule – da kamen in Sechsard, im Krankenhaus, da haben wir ihn besucht. Und da hieß es, er hat Hirnhautentzündung, und da hat man auch gesehen, er hat hinten eine Narbe gehabt. [… Hirnhaut …] Und da danach hat er angefangen zu stottern, nach dieser Hirnhautentzündung, vorher war er vollkommen normal –

Ruth : – oder auch wegen dem Krankenhausaufenthalt, es kann auch sein, dass es diese Trennung war

Käthe : In einem der Krankenhausaufenthalte war es so beliebt[?], dass sie zu Fuß – das sind 20, 30 Kilometer oder noch mehr – vom Bonyhad nach Sechsard gelaufen und die mussten ja auch wieder zurücklaufen, an einem Tag, sind wir nach Sechsard, der Opa, der Melchior, meine Mutter und ich. Der Heini war im Krankenhaus und der Hans, der war damals vielleicht – ich weiß es nicht, wo er war. Auf jeden Fall haben wir ihn da besucht, und ich habe ihm – das Krankhaus, da war so ein schöner Park, und an seinem Bett, […] So Hörgeräte mit Musik

40:21

Ruth : Gab es das schon?

Käthe : Habe ich noch nie in meinem Leben gesehen gehabt, was für mich natürlich was ganz besonderes gewesen ist, und ich wollte nur das im Kopf haben. Und den Heini haben wir besucht, und er war in der Küche, und dann haben die Frauen dort gesagt: „Den behalten wir hier, der ist so fleißig, der geht und räumt bei den Patienten das Geschirr ab, und der ist ein Fleißiger“. Und an dem Tag, wo wir ihn besucht haben, da war er auch aus und hat geholfen. Wie wir dann heim gegangen sind, konnte ich nicht mehr, und dann hat mich meine Mutter auf den Rücken genommen – wie ich die Stella-Melanie [ihre Adoptivtochter] auch auf dem Rücken hatte – weil ich nicht mehr konnte. 20 Kilometer heimlaufen, überleg' dir mal. [Das kann man sich heutzutage nicht mehr vorstellen] Aber dadurch ist man eingelaufen, überleg dir mal. Aber vom Hans damals, ich habe da überhaupt keine Erinnerung. Weißte. Guck mal, ich bin auch von meiner Mutter viel zu früh weggekommen, da war ich 16, wie der Russe kam. Da bin ich schon weg.

Ruth : Dann bist du in die Schule?

Käthe : Dann bin ich geflüchtet.

Ruth : Aber wann bist du in die Schule? Bist du da jeden Tag hin- und hergefahren, in die Schule?

Käthe : Ich bin gelaufen

[Ruth sich nach der Schulform erkundigend]

Käthe : Da bin ich mit dem Fahrrad. Erst gelaufen, und das Fahrrad musste ich mir erst verdienen. Gymnasium war ich nicht. Mittelschule [heute Haupt- und Realschule]. Ich bin die ersten zwei Jahre gegangen, und das dritte Jahr. Und im vierten Jahr hat meine Mutter gesagt, so, du bleibst zuhaus', dann musst du nicht mehr gehen. Dann ist die Lehrerin zu uns gekommen und hat gesagt: „das ist jetzt das letzte Jahr, und dann hat sie ein Abschlusszeugnis, die soll noch zur Schule kommen. Und meine Mutter hat gesagt: „Wenn du daheim bleibst, kriegst du auch ein Fahrrad.“ Und da habe ich natürlich für's Fahrrad gesagt, ich bleib' daheim. Und wie dann die Lehrerin kam – die Mutter war nicht da, und der Vater war da, un der hat zugestimmt, und da habe ich gesagt: „So, jetzt habe ich ein Fahrrad, und jetzt kann ich trotzdem noch zur Schule gehen.“ Und dann habe ich ein Fahrrad gehabt – sonst musste ich ja zur Schule nach Hidasch laufen, das sind auch vier Kilometer, das war halt damals so. Da hat man sich gar nichts bei gedacht.

[…]

Käthe : Bei jedem Wetter, ja. Morgens, ob es dunkel war oder nicht. Und im Altgeberg, das war für mich persönlich schlimm, wenn es so früh dunkel war, aber ein Akazienwäldchen war davor, und da musste ich durch. Musst du dir vorstellen, hinter jedem Staub und […] siehst du was. Ist ja nicht die Gefahr wie heute, damals gab es das alles nicht, aber damals hat man Angst gehabt vor Räubern.

Ruth : Es ist ein bisschen abgelegen, ich war ja einmal da

Käthe : Ja, da hat man Angst gehabt. Wenn ich da durch war, und habe dann unser Haus gesehen, so ungefähr „jetzt kann dir nichts mehr passieren“. Und da bin ich immer sehr ängstlich gewesen, aber es hat alles nichts genützt, musste man immer wieder durch. Aber wir haben da ein Paradies gehabt. So wie wir es gesehen habt und ihr es gesehen habt, hat es ja gar nie ausgesehen.

Ruth : Es ist heruntergekommen?

Käthe : Ja, verwahrlost. Da habe ich auch noch ein paar Bilder. Kennst du die? [Ein Bild zeigend]

Ruth : Ja

Käthe : Die kennst du auch, das ist der Heinz. Das ist auch der Opa und das ist der […], das ist sein Grab. Hier guck mal, das ist das Ruthche.

Ruth : Ja, das habe ich auch. Das war, als der Opa gestorben ist?

Käthe : Da ist dein Bruder, das ist der Hans.

Ruth : Gerhard.

Käthe : Gerhard? Da bist du dahinter irgendwo(?)

Ruth : Ja, ich bin das.

Käthe : Das bist du. Und das dürfte der Hans dann sein. Und das ist der Reiner.

Ruth : Kann man von der Größe –

Käthe : Und von den Backen […].

[längere Zeit in den Bildern schwelgend]

Käthe : Und die? Kennt ihr die? Schonmal gesehen?

Ruth : [Zustimmung ausdrückend]

Käthe : Aber siehst du, ich habe mich jedes Mal drüber gefreut und freue mich noch heute drauf.

[Weiterer Dialog über die nicht vorliegenden Bilder]

Käthe : [über den Verbleib der restlichen Hoffmänner] und zwar, die wurden nicht mal des Landes verwiesen wie wir, da hat Ungarn Schluss gemacht. Und dann ist morgens ein Lastwagen vorgefahren und hat gesagt: „Alle Deutsche da drauf.“ und haben sie weit raus gefahren, irgendwo in der Landschaft, „so jetzt könnt ihr heimlaufen“ und als sie heimgekommen sind, waren die Häuser alle besetzt. Und als Deutsche durfte ihnen niemand Arbeit geben. Kannst dir vostellen, was das… da ging es uns als Vertriebene besser

Ruth : Furchtbar, sie mussten alle Sachen dann auch da lassen?

Käthe : alles, war alles weg. Sie mussten mit null. Und dann bist du in deinem Haus – und noch viele haben ein Stückchen nebendran behalten dürfen

Friedrich : Herrenstall

Käthe : Und die mussten doch für die neuen Herrschaften arbeiten, das eigene bewirtschaften, und es hat ihnen nicht gehört. Und wie wir dann durchfahren, heiß es, ihm wäre das schönste Haus der Straße. Was eine Leistung. Von null sich wieder hochgearbeitet. Muss man das sich anerkennen.

[Weiteres Geplänkel über die Bilder]

Footnotes

  1. Käthe bezieht sich hier auf das Anwerbungsabkommen der SS mit der (ebenfalls faschistischen) ungarischen Pfeilkreuzlerregierung, dass Volksdeutsche aus Ungarn ihren (verpflichtenden) Wehrdienst auch in der Waffen-SS ableisten konnten. Hintergrund war, dass der SS bald nach der Machtübernahme die Rekrutierung im reichsdeutschen Inland verboten wurde, um die Rivalität mit der Wehrmacht zu dämpfen.